Baugewerbe im Straßen- und Hochbau von Politik nicht abhängen lassen

Studie "ÖPP-Infrastrukturprojekte und Mittelstand" an Parteien übergeben

Kiel. Die Finanzierung von Autobahnen und Fernstraßen durch ÖPP verhindert die Beteiligung
des Mittelstandes und reduziert den Wettbewerb. Das ist das Ergebnis einer Studie, die der
Baugewerbeverband Schleswig-Holstein an die Landtagsparteien übergeben hat. Damit weist die
Bauwirtschaft ihre vorgetragene Sorge nun wissenschaftlich belegt nach und signalisiert weiteren
intensiven Gesprächsbedarf mit der Politik.

Der Politik ist bekannt, dass der Mittelstand bei ÖPP im Bereich Infrastrukturmaßnahmen
unzureichend am milliardenschweren Wettbewerb beteiligt ist. Und Gefahr
läuft, dass bei solchen Tranchen nur noch die europäischen Baukonzerne beteiligt
werden. Bundesminister Alexander Dobrindt setzt dennoch zunehmend auf Öffentlich-
Private-Partnerschafts-Projekte (ÖPP) im Autobahnbau. Wie weit die Planungen hierzu
gehen, lässt sich im Internet nachlesen bei der planungsverantwortlichen DEGES* und
dem BMVI**. Dabei übergibt der Staat die Finanzierung für den Bau und den Betrieb
von langen Streckenabschnitten an private Konsortien. Über eine Laufzeit von um 30
Jahre werden diese Kosten samt Rendite über Mautsysteme oder über
Amortisationszahlungen des Auftraggebers öffentliche Hand erstattet.

„Die großen Projektvolumina, die häufig mehr als eine Milliarde Euro betragen und die
lange Laufzeit machen es mittelständischen Unternehmen nahezu unmöglich, bei
diesen Infrastrukturprojekten mitzubieten. Bei einer konventionellen Vergabe von
Infrastrukturprojekten könnten etliche mittelständische Straßenbauunternehmen ein
wettbewerbsfähiges Angebot abgeben. Problematisch ist auch die Verdrängung von
Aufträgen zur Instandhaltung und Sanierung, wenn alles nur noch in einer Konzernhand
liegt“, sagt Georg Schareck. Der Hauptgeschäftsführer des Baugewerbeverbandes
Schleswig-Holstein (BGV SH) verweist dabei auf langwierige Verhandlungen und
Probleme wie bei der A7 in Schleswig-Holstein.

Der leistungsfähige heimische Mittelstand werde bei ÖPP in der derzeitigen Form vom
Wettbewerb ausgeschlossen. Das schade den Betrieben mit ihren gut qualifizierten
Mitarbeitern und Nachwuchskräften. Letztlich schade es auch dem Steuerzahler, weil
Wettbewerb der Anbieter kaum stattfinde und Verträge, da nicht öffentlich-rechtlich,
einer Kontrolle entzogen würden. Kritisch sei auch das zu bezahlende Betriebs- und
Instandhaltungsrisiko zugunsten der Betreiber.

Vor diesem Hintergrund hatte der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB)
ein Forschungsvorhaben zum Geschäftsmodell der ÖPP im Bereich der
Bundesfernstraßen sowie die Auswirkungen auf mittelständische Unternehmen in
Auftrag gegeben. Untersucht werden sollte, ob und unter welchen Bedingungen
mittelständische Unternehmen als ÖPP-Nehmer (auf Konsortialebene) bei
Bundesautobahnen und Fernstraßen auftreten können. Die Ergebnisse des
Forschungsvorhabens des Lehrstuhls für Infrastruktur- und Immobilienmanagement am
Institut für Bauwirtschaft und Baubetrieb der TU Braunschweig liegen jetzt vor.

Für die BGV-Mitgliedsbetriebe hat Schareck die Studie im Rahmen der Landtagssitzung
am 27. April an die Landtagsfraktionen übergeben. Am 8. April war Schareck bereits
mit Wirtschafts- und Verkehrsminister Reinhard Meyer zusammengetroffen. Bei allen
Parteien des Landtags stößt das Thema auf großes Interesse. Im Fokus stehen dabei
neben den Kosten vor allem der Mittelstand sowie die Einflussnahme und Kontrolle des
Landtags und der Verwaltung auf die Ausgestaltung derartiger Projekte.

Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass ÖPP in seiner jetzigen Form im
Straßenbau als mittelstandsfeindlich und wettbewerbsverengend zu bezeichnen ist. Die
Projektvolumina und die inkludierten Leistungsbereiche sind zu umfassend, die
Vertragslaufzeit von 30 Jahren zu lang und der Aufwand zur Angebotslegung und das
komplexe ÖPP-Vertragswerk zu aufwändig, hinzu kommt die Finanzierung bis zur
Sicherheitengestellung. „Ein Mittelständler, selbst ein großes Unternehmen mit 60 bis
100 Mitarbeitern, kann sich die Kredite in den geforderten Größenordnungen kaum
beschaffen oder sich für generationenübergreifende Laufzeiten festlegen“, so Schareck.

Eine Ausgestaltung von ÖPP-Modellen, die exakt auf die Bedürfnisse der
mittelständischen Bauwirtschaft zugeschnitten sind und gleichzeitig die Anforderungen
an Effizienz und Risikoallokation des öffentlichen Auftraggebers erfüllen, wird schwer
möglich sein. Allerdings präsentiert das Gutachten Lösungsansätze, die für eine
Verringerung der Projektanforderungen sorgen und den Markt für mittelständische
Unternehmen öffnen.

„Grundsätzlich halten wir ÖPP, beispielsweise bei kleineren Projekten, für möglich und
wünschenswert“, so Schareck. In den Größenordnungen wie derzeit beim
Fernstraßenbau würden allerdings von der Politik Rahmenbedingungen geschaffen
werden, die zu einem Verdrängungswettbewerb gegen die mittelständischen
Bauunternehmen führten. Diese stünden im Widerspruch zum allgemein akzeptierten
Grundsatz, bei öffentlichen Aufträgen vorrangig Fach- und Teillose zugunsten des
Mittelstandes zu planen und zu vergeben.

Zu den geforderten Anpassungen gehören beispielsweise eine Herauslösung einzelner
Leistungsbereiche aus dem ÖPP-Modell, eine deutliche Reduzierung der
Finanzierungsvolumina und eine Erhöhung der Anschubfinanzierungen. Durch die
Einführung eines Forfaitierungsmodells, eines Forderungskaufvertrages, kann der
Leistungsfähigkeit der betrachteten Gruppe eher Rechnung getragen werden. „Wir
brauchen eine Lösung, die den Mittelstand grundsätzlich berücksichtigt“, sagt Schareck.

Er befürchtet Auswirkungen auf andere Baubereiche, beispielsweise bei Schul- oder
Klinikbauten, weil immer mehr Großunternehmen in den Markt unter 1 Mio.
Investitionsvolumen drängen. „Wenn der öffentlichen Hand die Geldmittel für
notwendige Infrastruktur- und Baumaßnahmen fehlen, ist ÖPP ein möglicher Weg.
Dann brauchen wir auch nicht auf bis dato nicht ausfinanzierte Programme des Landes
zu warten. Wir können die festgestellte Personalnot des Landes bei Planung und
Durchführung mit eigenen Kompetenzen füllen“, so Schareck weiter.

Die Bauwirtschaft ist mit der Politik im Gespräch, auch in Schleswig-Holstein. Da bis
dato allerdings keine für eine Verwaltung verlässlich bindenden Vorgaben im Rahmen
des ÖffPrivZusG SH vorhanden sind, ist weiterhin Gesprächsbedarf gegeben.
Wirtschafts- und Verkehrsminister Reinhard Meyer sagte bereits zu, dass er sich
weiterhin dafür einsetzen werde, den Mittelstand bei ÖPP-Projekten einzubinden. Auch
in den Parteien wird diesbezüglich diskutiert. Vom Parteitagsbeschluss bis zum
Leitantrag im Landtag; auch im Wirtschafts- und Finanzausschuss des Landes ist ÖPP
Thema.

Foto: Übergabe der Studie „ÖPP-Infrastrukturprojekte und Mittelstand“ an Vertreter der
Parteien im Landtag (v.l.): Johannes Callsen (CDU), Georg Schareck, BGV SH, Katrin
Fedrowitz (SPD), Dr. Patrick Breyer (Piraten), Christopher Vogt (FDP)
Als Fotonachweis verwenden Sie bitte: BGV SH/Hilke Ohrt.

Übersichtskarte Projekte Bundesfern- u. Landesstraßenprojekte

ÖPP Bundesfernstraßen

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