Page 9 - Bau Aktuell - August 2017
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Interview mit Dr. Rainer Braun von empirica
WOHNRAUMPROGNOSE 2030
Das Innenministerium Schleswig-Holstein hatte das empirica-Institut Berlin mit der Erstellung einer neuen Wohnraumprog- nose beauftragt. Nach deren Ergebnissen ist der Wohnraumbedarf größer als bisher angenommen, zwischen 2015 und 2030 werden 177.00 neue Wohnungen benötigt. Bauwirtschaft weist seit Jahren darauf hin, dass mehr Wohnraum nötig ist, als bis dato festgestellt.
Die Bau aktuell sprach mit Studienleiter Dr. Rainer Braun.
p Sind die Zahlen eine Überraschung oder waren sie in diesen doch erschrecken- den Fehlzahlen von Wohnungen überra- schend?
Schleswig-Holstein ist keine Ausnahme, in allen Bundesländern wurden in den letzten zehn Jahren zu wenige Wohnun- gen gebaut. Die Größenordnungen un- terscheiden sich hier nicht von anderen Ländern. Also keine Überraschung.
p Es gibt gerade in Städten nicht viel Bau- land. In Kiel beispielsweise verliert die Stadt viele Einwohner an das Umland, das geradezu prosperiert. Können Sie sich vorstellen, wie Maßnahmen wie Nachverdichtung und Ausbau im Be- stand Abhilfe schaffen können?
Das Problem ist, dass wir in den letzten Jahren nur Innenentwicklung gemacht haben. Natürlich kann man Baulücken füllen. Aber erstens entstehen so nur teure Wohnungen in innerstädtischen Lagen und zweitens können sie dort nicht in ausreichenden Mengen produ- ziert werden. Daher muss man wieder mehr in den Außenbereich gehen. Dem stand in der Vergangenheit das 30-Hek- tar-Ziel entgegen sowie die Erwartung sinkender Nachfragen. Kommunen haben auch Personal abgebaut und können gar nicht auf die Schnelle neu- es Bauland ausweisen, hinzu kommen Bürgerproteste gegen neue Stadtteile.
Dr. Reiner Braun, wissenschaftlicher Mitar- beiter und Vorstandsmitglied empirica ag
p Unter welchen Voraussetzungen ist die Umlandbebauung keine nur kurzfristige sondern auch nachhaltige Ergänzung zum urbanen Leben?
Junge Menschen fliehen in die Stadt. Wenn sie eine Familie gründen, zieht es sie wegen der größeren, preiswerteren und familiengerechten Wohnungen an den Stadtrand. Wenn es dort keine be- zahlbaren Angebote gibt, gehen sie ins Umland. Das ist dann eine endgültige Lösung.
p Einige Gutachter halten den Trend, wie- der raus aufs Land zu ziehen, für nicht nachhaltig und unvernünftig. Wie ist Ihre Meinung hierzu?
Wir unterscheiden drei Regionen: Stadt, Umland und Land. Es gibt keinen Trend aufs Land zu ziehen, sondern ins Um- land und das ist nicht freiwillig. 2/4 bis 3⁄4 der Befragten deutschlandweit wären lieber in der Stadt geblieben, als im Um- land zu wohnen. Wenn die Lage in den Städten weniger angespannt sein wird, kann es eine Rückwanderung in die (In-
nen-)Städte geben. In dern attraktiven Oberzentren wird das in absehbarer Zeit aber nicht passieren.
p Sind die Beispiele Bremen oder Lübeck mit altersübergreifenden Wohnprojek- ten massentauglich?
Alle Menschen freuen sich über eine barrierearme Wohnung. Altersübergrei- fende Quartiere sind sinnvoll, alters- übergreifende Gebäude können proble- matisch sein.
p Wenn knappes, teures Bauland ein Grund für die Zurückhaltung beim Bau ist, wie könnte das in Schleswig-Hol- stein geändert werden?
Die Lösung liegt darin, den Flaschenhals Bauland aufzubrechen, indem mehr Bauland im Außenbereich ausgewiesen wird. Bauland auszuweisen dauert aber seine Zeit, oft viele Jahre. Kurzfristig kann man vorhandenes Bauland durch deutlich höhere Grundsteuern auf un- bebautes Bauland mobilisieren – das bewirkt einen Verkauf, weil sich die Hal- tekosten von Bauland verteuern.
p Haben Sie selber noch weitere Inhalte, die Sie ansprechen möchten?
Neben der Grundsteuer muss man auch über die Grunderwerbssteuer sprechen. Da werden bei einem Objekt von 300.00 Euro Wert schnell mal 20.000 Euro Ei- genkapital verbrannt. Das ist nicht hilfreich, wenn man über bezahlbaren Wohnraum spricht; das gilt sowohl für Selbstnutzer als auch für Mietwohnun- gen.
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BAUAKTUELL  Baugewerbeverband Schleswig-Holstein  August 2017
Foto: empirica ag


































































































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