Page 6 - Bau Aktuell - Mai 2022
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NACHHALTIGKEIT-SPEZIAL I BAUWIRTSCHAFT
PARTNER NACHHALTIGKEIT-SPEZIAL II FACHBEREICH + BETRIEBE

gestellt werden. In diesem Zusammenhang spielt die Nachhaltigkeitsberichterstattung eine Rolle. Die EU-Taxonomie legt den Fo- kus auf das Bauwerk und eine Berichtser- stattung der großen Unternehmen. Derzeit sind Baubetriebe noch nicht verpflichtet, ei- nen Nachhaltigkeitsbericht abzugeben, sie werden aber aufgrund ihrer Position in der Wertschöpfungskette mit diesen Fragestel- lungen konfrontiert werden. Bei der Auf- tragsvergabe oder der Kreditvergabe durch
Banken wird die Nachhaltigkeit des Unter- nehmens eine zunehmende Rolle spielen.
Die Bauwirtschaft im Norden ist mit der Politik im Gespräch (siehe Seite 21) und hat für ihre Mitgliedsbetriebe im Verband eine Arbeitsgruppe zum nachhaltigen Bauen ge- gründet.
Hinweis: Nachhaltigkeitskongress „Zukunft denken - nachhaltig bauen“, ausgerichtet
von Bundesbauministerium und Bundes- bauinstitut – am 13. und 14. Juni 2022 im Umweltforum Berlin und im Livestream. Weitere Informationen: www.bbsr.bund.de / Service / Veranstaltungen
 Autorin
M.A. phil. Hilke Ohrt Pressesprecherin presse@bau-sh.de
      Den Lebenszyklus von Gebäuden betrachten
Alle Phasen des Bauwerks für den Umweltschutz mitdenken
 Die Ökobilanzierung eines Gebäudes muss über den gesamten Lebenszyklus – vom Abbau der Rohstoffe bis zum Abriss des Gebäudes und der Wiederverwertung der Baustoffe – erfolgen, sagen Experten. Da- bei geht es vor allem um die Bilanzierung der Treibhausgasemissionen, insbesonde- re der CO2-Bilanz; zu kurz gegriffen sind bisherige Betrachtungen des alleinigen Energieverbrauchs während der Gebäude- nutzung.
Der Gebäudesektor verursacht knapp 40 Prozent der Treibhausgasemissionen. Im Rahmen einer Studie hat die Deutsche Ge-
sellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) 50 zertifizierte Gebäude hinsichtlich ihres CO2- Fußabdrucks ausgewertet. Gut ein Drittel al- ler Treibhausgasemissionen eines Gebäudes entstehen demnach vor der Nutzung, also bei der Herstellung und Errichtung.
Die alleinige Betrachtung des Gebäudes im Betrieb und dessen Energieverbrauch in der Nutzungsphase ist daher nicht zielführend für die Umsetzung der Klimaziele. „Wenn die CO2-Emissionen reduziert und Grenz- werte eingehalten werden sollen, müssen die Anforderungen an Gebäudeneubau und -sanierung auf ebendiese ausgerichtet sein. Daher sollte nicht länger der Primärener- giebedarf eines Gebäudes der Maßstab sein, wie es das GEG vorgibt“, so die DGNB. Die Energieeffizienz ist lediglich ein Baustein, um die ambitionierten Klimaziele im Gebäu- debereich zu erreichen. „Wir müssen den CO2-Fussabdruck von Gebäuden und Bau- werken für ihren Bau und die dafür notwen-
digen Rohstoffe, den lebenslangen Betrieb und den Rückbau definieren“, betont auch die Bundestiftung Baukultur.
Einhellig halten Experten darüber hinaus eine Betrachtung des Lebenszyklus eines Gebäudes im Blick auf nachhaltiges Bauen für die adäquate Lösungsmöglichkeit. Ideal wäre eine Kreislaufwirtschaft: vom Gewin- nen und Einsetzen der Rohstoffe, der Her- stellung der erforderlichen Bauprodukte und der Errichtung des Bauwerks über sei- ne Nutzung, Umnutzung und Sanierung bis hin zu Rückbau und Recycling. Einen Hebel zur Reduktion von verbauten CO2-Emissio- nen sieht der DGNB in Bauweise, Bauteilen mit großer Masse und Nutzungsdauer der Baustoffe.
Heutiges Handeln muss ersetzt werden durch ein planvolles, systematisches Vorgehen, sind sich Bauexperten einig. Für bestehen- de Gebäude und die Planung von Neubauten braucht es einen Klimafahrplan mit Ökobi- lanz. Es ist wichtig, eine CO2-Bilanzierung des Zustands und des Ziels sowie eine CO2-Be- richterstattung und Qualitätssicherung über den gesamten Lebenszyklus vorzunehmen.
Die Bauwirtschaft im Norden leitet aus den Untersuchungen und Daten zum nachhalti- gen Bauen konkrete Ziele für ihre Bauun- ternehmen ab, die sie der Politik vorträgt, unter anderem auch zur Landtagswahl (sie- he Seite 21).
Mit Blick auf die Gebäudetypologie gibt es mehrere Möglichkeiten, die klimapoliti-
Bauen als Kreislauf verstehen
schen Ziele zu erreichen. „Verschiedene Ge- setze wie GEG, EnEV, KfW-Förderbedingun- gen, Klimaschutzgesetz befördern wegen ihres dogmatischen Gebäudebezugs und ihrer technokratischen Sichtweise kaum notwendige technische Innovationen“, so Verbandschef Georg Schareck. Der Begriff Klimaneutralität ist als Programmsatz für Baumaßnahmen nur bedingt geeignet, Ziele zu definieren. Dies gilt gerade im Bestand. Es muss vermieden werden, dass klimapo- litische Ziele für Bauwerke in der Lebens- zyklusbetrachtung nur theoretisch, aber nicht mehr praktisch umsetzbar sind. Das ist der Fall, wenn der ökonomische Auf- wand zur Zielerreichung so hoch wird, dass der Nutzwert der Maßnahme insgesamt in- frage gestellt wird. Daher seien Ansätze als kontraproduktiv zu bewerte, die Ziele und Herangehensweisen kleinteilig definierten.
„Nicht nur der Nutzwert der Maßnahme muss im Einklang mit dem ökonomischen Aufwand zur Zielerreichung stehen, auch die Förderkulisse muss konsequent an die realen Bedingungen angepasst werden“, betont Schareck. So müssten beispielswei-
   BAU AKTUELL 2 2022 / Die Bauwirtschaft im Norden
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Foto: Pat Scheidemann







































































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